Ist es das, was gesagt werden muss ?

Zu Ostern schenkt uns Günter Grass, seines Zeichens Dichter, Lyriker und  Literatur-Nobelpreisträger ein Gedicht und sorgt damit für eine politische Betroffenheit, die das zuletzt bekannte Bundespräsidenten-Betroffenheits-Maß tatsächlich locker überbietet. Wie so oft in öffentlich geführten Debatten muss man der Mehrheit der Betroffenen unterstellen, dass sie das Gedicht wahlweise nicht gelesen und darüber gesprochen oder nicht verstanden und darüber gesprochen hat – anders ist das Ausmaß der aktuellen Betroffenheit kaum nachzuvollziehen, denn eigentlich ist alles was Günter Grass schreibt nicht neu.

Ein, wenn man mich fragt (was ja glücklicherweise keiner tut) Nebeneffekt des kommunikativen Wandels, der Twitter-Manie, des Online-First-Journalismus bei dem die Leser dort lesen wo die Nachricht zuerst veröffentlicht wird und alle späteren Veröffentlichungen zunächst nachrangig einsortiert werden.  Wenn Geschwindigkeit zählt und man ohne größere Nachwirkungen alles kommentieren kann, ganz egal ob man damit richtig oder falsch liegt, können Missverständnisse schon mal passieren, die Hauptsache ist: der Kommentar ist schon mal in der Welt.

Skandal zum Selbstkonfigurieren? Man nehme …

Für einen richtigen Skandal braucht es dann noch eine schnell zusammengezimmerte Kurzzusammenfassung die einem aussagefreudigen Politbeschäftigten zwecks Abgabe eines Kommentars unter die Nase gehalten wird. Zeigt dieser dann wenig Interesse an der gesamten Information und kommentiert nach bestem Wissen und Gewissen ist ein veritabler Skandal fertig. Aber eigentlich soll es hier nicht um mediale Eigenarten oder um Schelte an den dort arbeitenden Personen, sondern um die Frage: Ist es das, was gesagt werden muss – und was sagt Grass überhaupt, gehen.

Was schreibt denn der Grass nun?

Grass schreibt, dass er es persönlich für merkwürdig erachtet, dass man der Iran (Zitat: „das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk“) keinerlei Atomanreicherung vornehmen darf, weil es als zu gefährlich für den Nahen Osten und den Rest der Welt erscheint (was sicherlich unbestritten der Fall ist) – und das es wohl ebenso merkwürdig ist, dass deutsche Politiker kein Problem darin sehen Israel mit U-Booten Deutscher Fertigung zu beliefern (Zitat: „ein weiteres U-Boot nach Israel geliefert werden soll, dessen Spezialität darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen ist“) , die israelische Atomwaffen in den Iran befördern können.  Grass schreibt auch, dass Israel das Recht auf einen Erstschlag für sich in Anspruch nimmt, damit die Kriegsgefahr im Nahen Osten erhöht und Deutschland, das immer so sehr darauf bedacht ist sich in keinen Krieg mehr einzubringen, mit der U-Boot ebenso schuldig ist wie die, die letztendlich die Waffen abfeuern (Zitat „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden? Weil gesagt werden muß, was schon morgen zu spät sein könnte; auch weil wir – als Deutsche belastet genug – Zulieferer eines Verbrechens werden könnten, das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld durch keine der üblichen Ausreden zu tilgen wäre.“)

Liest man das, versteht man warum die deutsche Politik zu dem Mittel der allgemeinen Betroffenheit greift. Günter Grass als alten verwirrten Mann mit SS-Vergangenheit abzustempeln ist um ein Vielfaches einfacher als zu erklären warum deutsche Atom-U-Boote überall dorthin (nicht nur nach Israel) verkauft werden, wo Friede nicht unbedingt Alltag ist. Dass man das Gefahrenpotential auch als deutsche Regierung durchaus sieht  zeigt ein Statement von Bundes-Verteidigungsminister Thomas de Maizière, der bei einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen Ehud Barak sehr deutlich formulierte, dass Deutschland einen militärischen Erstschlag ablehne und weiter verhandeln wolle.

Musste das alles gesagt werden?

Sicherlich. Und eigentlich sollte es auch seit dem Zusammenbruch des Eisern Vorhangs Konsens sein, dass man Konflikte nicht damit löst den Beteiligten immer mehr Waffen zu liefern damit sie sich (und alle anderen) gegenseitig abschrecken. Günter Grass ist auch nicht der erste, der sich an dem Thema Waffenlieferung, die im Übrigen auch mit deutschen Steuergeldern subventioniert werden, abarbeitet. Er ist allerdings der erste, der dies im konkreten Bezug auf Israel und öffentlich über große Deutsche Tageszeitungen tut. Ob man diese simple Kommentierung bekannter Tatsachen nun tatsächlich derart aufbauschen muss wie das getan wurde – und ob ich tatsächlich zunaiv bin den antisemitischen Charakter dieses Gedichts herauszuarbeiten – ist eine ganz andere Frage. Gerade im Hinblick auf Israel muss man allerdings feststellen: Der Ton macht die Musik. Dem Komponisten der Misstöne  aber nun den Zutritt zu verwehren ist, Entschuldigung wenn ich das so offen sage: Total kindisch.

Den kompletten Wortlaut des Grass Gedichts „Was gesagt werden muss“ hat die Süddeutsche Zeitung hier veröffentlicht.